Mein Leben
mit NDO
Es gibt Themen, über die man eher ungern spricht. Das Blasenmanagement und die damit verbundenen Herausforderungen gehört häufig dazu. Umso wichtiger ist es dieses Thema endlich zu enttabuisieren. Auf die Toilette gehen müssen wir schließlich alle.
Der NDO Blog
Von Mensch zu Mensch
Dieser Blog soll Betroffene einer neurogenen Detrusorüberaktivität unterstützen, zum Austausch anregen und nicht zuletzt einfach Spaß machen – ganz unverblümt und von Mensch zu Mensch.
Authentisch und aus dem wirklichen, meist nicht perfekten Leben, erzählt.
Einmal das komplette Leben auf den Kopf gestellt
Allgemeine Beiträge
Hi liebe Leserinnen und Leser,
bei mir ist es ein kalter Dezembertag, an dem sich mein Leben komplett verändert. Die Bäume sind von Reif überzogen, der Boden ist leicht angefroren und Nebelschwaden ziehen sich durch den Wald. Dennoch ist der Himmel strahlend blau und mein Bruder und ich beschließen, den Tag zu nutzen und gemeinsam wandern zu gehen. Nach gut 2 Stunden der Wanderung kommen wir an einen kleinen Bach, den wir überqueren müssen. Ich bin damals 18 Jahre alt und Michael ist 23 Jahre alt, wir sprühen also vor Energie und beschließen, über den 2 Meter breiten Bach zu springen.
Mein Bruder nimmt Anlauf, springt ab und landet auf der anderen Seite. Daraufhin nehme ich Anlauf, möchte abspringen, bleibe mit meinem Fuß an einer Wurzel hängen und stürze kopfüber in den Bach hinein. Ich schlage mit dem Kopf im Bach auf und mein komplettes Leben verändert sich genau in diesem Moment. In diesem Moment breche ich mir den fünften Halswirbel und bin von nun an querschnittsgelähmt. 95% meiner Muskeln, darunter auch meine Hände, sind von nun an gelähmt.
Wie kann ich damit umgehen? Ist mein Leben nun überhaupt noch lebenswert? Und was ist vielleicht trotz dieser Querschnittslähmung noch alles möglich? Das sind nur einige der Fragen, die ich mir vor allem während der neunmonatigen Reha im Querschnittszentrum Bayreuth in Folge meines Unfalls häufig gestellt habe. Und ehrlicherweise hatte ich auf viele dieser Fragen auch keine Antwort, zumindest keine befriedigende Antwort.
Deswegen war mein erstes Ziel, wieder etwas Normalität in mein Leben zu bringen, und mit 18 Jahren bedeutet das erst einmal, mein Abitur zu beenden. Trotz der Tatsache dass ich auf Pflege und Unterstützung angewiesen war, bin ich zurück an meine alte Schule und habe mein Abitur nachgeholt. Somit stand auch meinem Studium nichts mehr im Wege und ich habe mich für das Studium der Wirtschaftsmathematik entschieden. Warum? Weil es mein großes Ziel war, als Aktienanalyst zu arbeiten. Und schlappe 11 Semester später konnte ich auch hinter diesem Ziel einen Haken machen. Studium erfolgreich beendet und den Einstieg ins Berufsleben als Aktienanalyst geschafft. Ein Auslandssemester in den USA war sogar auch noch mit drin. Also alles tippitoppi, oder? Manchmal im Leben erreicht man Ziele und ist überglücklich und manchmal im Leben erreicht man Ziele und merkt, dass es eigentlich die falschen Ziele waren. Letzteres ist bei mir der Fall und ich fühle, dass ich im Beruf unglücklich bin. Also stelle ich mein komplettes Leben, zumindest aus beruflicher Sicht, erneut auf den Kopf und beschließe zu kündigen, um selbstständig als Redner und Unternehmensberater tätig zu sein. Im Nachhinein die vielleicht beste Entscheidungen in meinem Leben, denn nun bin ich wirklich das, was ich mir vom früheren Job erhofft hatte; nämlich erfolgreich und glücklich.
Soweit zu meinem Berufsleben infolge meines Unfalls aber das war nicht mein einziges Ziel. Denn abgesehen davon wieder Normalität in meinen Alltag zu bekommen, wollte ich es schaffen, trotz meiner Tetraplegie einen Weg raus aus der Pflegebedürftigkeit und rein in ein eigenständiges Leben zu finden. Das bedeutet, nicht mehr auf Pflege angewiesen zu sein. Dafür trainiere ich Tag für Tag mit meiner Ergotherapeutin, mit meinem Physiotherapeuten und mit meinen Verwandten, meinen Freunden und auch meinen Rollstuhl Rugby Teamkollegen. Erst lerne ich wieder, alleine zu essen, dann meinen Oberkörper alleine anzuziehen, dann mich zu duschen, später mir Hose und Socken anzuziehen und viel später auch wieder alleine Auto zu fahren; und noch vieles mehr. Dieser Weg dauert insgesamt 7 Jahre, bis ich auch hier mein Ziel erreiche. Inzwischen darf ich behaupten, trotz 95% gelähmter Muskulatur ein eigenständiges Leben zu führen. Und dieses Ziel ist mindestens genauso wichtig für mich wie mein Weg zu beruflichen Erfolg und Zufriedenheit. Inzwischen bin ich 32 Jahre alt und durfte auch aufgrund meines Schicksalsschlages viele Erfahrungen machen, mit vielen Herausforderungen umgehen und viele Erfolge feiern. Was ich währenddessen in verschiedenen Lebensbereichen erlebt habe und was ich daraus gelernt habe, davon werde ich euch in den nächsten Wochen und Monaten in diesem Blog berichten. Ich hoffe euch dadurch neue Blickwinkel zu geben, euch Mut zu machen, euch zu helfen und euch vor allem eines zeigen: Wenn sich dein Leben auf den Kopf stellt, dann liegt es an dir daraus das Beste zu machen. Es lohnt sich!
Alles liebe,
Dein Sebastian
Sebastian Wächter
Sebastian
32 Jahre
Rollstuhl-Rugby-Spieler
Profil
Ein falscher Schritt beim Wandern wird Sebastian Wächter zum Verhängnis. Er stürzt und bricht sich das Genick. Diagnose:
Querschnittslähmung. 95 Prozent seiner Muskeln sind betroffen. Und das mit 18 Jahren...
Bitte beachten Sie, dass die hier enthaltenen Informationen lediglich als Orientierungshilfe dienen und das ärztliche Gespräch nicht ersetzen können.