Mein Leben
mit NDO

Es gibt Themen, über die man eher ungern spricht. Das Blasenmanagement und die damit verbundenen Herausforderungen gehört häufig dazu. Umso wichtiger ist es dieses Thema endlich zu enttabuisieren. Auf die Toilette gehen müssen wir schließlich alle.

Der NDO Blog

Von Mensch zu Mensch

Dieser Blog soll Betroffene einer neurogenen Detrusorüberaktivität unterstützen, zum Austausch anregen und nicht zuletzt einfach Spaß machen – ganz unverblümt und von Mensch zu Mensch.
Authentisch und aus dem wirklichen, meist nicht perfekten Leben, erzählt.


Auslandssemester

Allgemeine Beiträge

 

Hallo ihr Lieben,

tatsächlich war es schon immer mein Traum. Bereits mit 13 Jahren sagte ich mir: „ Ich möchte eines Tages in den USA studieren…“

Doch dann: Wanderunfall. Querschnittslähmung: Tetraplegie. Es kam alles anders als gedacht und mein Traum zerplatzte.

Schließlich war es dann nicht mal mehr klar, ob ich überhaupt studieren kann. Von einem Studium im Ausland ganz zu schweigen… Vergessen habe ich meinen Traum dennoch nie.

Umso schöner war es dann, als ich im August 2014 in Austin, Texas landete, um mein Auslandssemester an der University of Texas (kurz: UT) anzutreten. Ein unbeschreibliches Gefühl.

Aber nicht nur ich habe gezweifelt, ob mein Traum je in Erfüllung gehen wird, sondern auch meine Familie, meine Professoren und meine Ärzte hatten Bedenken:

  • Wie finde ich eine rollstuhlgerechte Wohnung?
  • Wie soll die Pflege organisiert werden?
  • Was ist mit Medikamenten, Katheter, Abführsystem und Co.?
  • Was ist, wenn ich krank werde?

All diese Fragen und vieles mehr prasselten auf mich ein und schienen das Auslandssemester unmöglich für mich werden zu lassen. Doch zum Glück hatte ich mit 24 Jahren schon wieder viel mehr Selbstvertrauen und Neugierde als mein 18-jähriges ich kurz nach dem Unfall. Irgendwann habe ich bei den ganzen Bedenken auf Durchzug geschaltet und mir eingeredet, „das wird schon gut gehen“. Geholfen hat mir auch folgender Gedanke: „ Wenn wirklich etwas gravierend schief gehen sollte, dann bin ich innerhalb von 15 Stunden wieder zurück am Frankfurter Flughafen.“ Also: Lass es uns probieren!

Zuerst musste ich mich an meiner Universität in Würzburg für den Austausch mit der Partneruniversität in Texas bewerben. Diese Plätze sind extrem beliebt. Mit einem guten Bewerbungsschreiben und einer ordentlichen Portion Glück hat es aber geklappt.

Jetzt geht es an die Planung. Neben den üblichen organisatorischen Dingen wie Wohnung, Visum, Auswahl der Studienfächer und vieles mehr stellen sich für mich als Tetraplegiker noch viele weitere Fragen, die noch nach kreativen Lösungen suchen. Hier ein paar Beispiele:

  • Wie bekomme ich in USA meine Medikamente, Katheter, Urinbeutel und Co.? Zuallererst habe ich eine Grundversorgung in einem extra Koffer mitgenommen. Denn medizinisches Mehrgepäck ist bei den meisten Airlines kostenlos. Dann hat mir meine Mutter alle 2 Monate ein „Carepaket“ mit allen was ich so brauche noch Austin geschickt.
  • Wie organisiere ich meine Pflege? Als Tetraplegiker bin ich dennoch sehr selbstständig, lediglich beim Abführen und beim Duschen benötige ich Hilfe. Für diese Zeiten habe ich mir bereits aus Deutschland einen ortsansässigen Pflegedienst organisiert. Diesen musste ich zwar später nochmal wechseln, da ich unzufrieden war, aber ich war zumindest versorgt.
  • Wie bekomme ich meine Pflegebett mit nach Austin? Einfache Antwort: Gar nicht! Ich habe mir kurzerhand ein Pflegebett gekauft und kurz vor meiner Abreise wieder verkauft. Das hat wunderbar funktioniert.
  • Wie finde ich eine rollstuhlgerechte Unterkunft? Natürlich kann man über Google viel recherchieren und Bilder ansehen. Aber gerade als Tetraplegiker sind die Anforderungen an den Zugang in die Wohnung und insbesondere das Bad nochmal sehr speziell. Ein Tetraplegiker kann das selbst am besten beurteilen. Also habe ich über Facebook das Rollstuhl Rugby Team aus Austin kontaktiert. Ein Teammitglied war tatsächlich bereit, sich ein paar Wohnungen für mich anzuschauen und die Beste auszuwählen.

Sicherlich gibt es noch viel mehr Fragen, die zu klären sind bzw. zu klären waren. Mir ist es nur wichtig, die zu zeigen, dass es zu (fast) jedem Problem eine Lösung gibt, wenn man kreativ ist und das Ziel wirklich erreichen will. So, jetzt aber zu den Sonnenseiten meines Auslandssemesters. Denn ich habe viele tolle Erfahrungen machen dürfen. Zum einen ist die USA in Sachen Barrierefreiheit wirklich ein Vorbild. Die komplette Universität, die Busse, die Restaurants und (am wichtigsten) die Kneipen sind alle barrierefrei. Das heißt, ich konnte mich uneingeschränkt bewegen. Dann lebte ich in einem Studentenhaus mit Studenten aus aller Welt. Hier durfte ich viele tolle Leute Kennenlernen, mit denen ich feiern ging, Gespräche führte, Ausflüge machte und auch hin und wieder mal studierte. Wo wir schon beim Thema sind: Das Studium läuft in den USA auch anders ab. Die Fächer sind deutlich praxisorientierter und die Professoren sind mehr an den Studenten und deren Lernerfolg bzw. Karriereerfolg interessiert. Last but not least war natürlich das texanische Barbecue ein echtes Highlight. Zum einen geschmacklich, zum anderen aber auch als Zusammenkunft und gemeinsames Event. Ein besonderes Erlebnis war ebenso eines der wichtigsten Feiertage in den USA, nämlich Thanksgiving. Hier wurden wir Auslandsstudenten von heimischen Familien eingeladen und durften aus erster Hand diese Tradition miterleben.

Insgesamt war das Auslandssemester für mich ein Traum…der in Erfüllung gegangen ist. Ich durfte so vieles lernen und erleben und wunderschöne Erinnerungen sammeln. Dies wiederum hat mir als Tetraplegiker nochmal sehr viel Selbstvertrauen gegeben, denn wieder einmal habe ich gesehen, was noch alles möglich ist.

Keine meiner Ängste und Befürchtungen ist eingetreten. Sicherlich hat meine gute Vorbereitung hierbei geholfen. Deshalb kann ich nur jedem, der einen ähnlichen Traum hat, sagen: Trau dich! Es lohnt sich!

P.S.: Übrigens gibt es Stiftungen, die Menschen mit Behinderung bei einem Auslandssemester finanziell unterstützen, um den Mehraufwand abzufedern. Auch ich hatte 2 Stiftungen als Unterstützung an meiner Seite.

Sebastian Wächter

Sebastian

32 Jahre

Rollstuhl-Rugby-Spieler

Profil

Ein falscher Schritt beim Wandern wird Sebastian Wächter zum Verhängnis. Er stürzt und bricht sich das Genick. Diagnose:
Querschnittslähmung. 95 Prozent seiner Muskeln sind betroffen. Und das mit 18 Jahren...

Bitte beachten Sie, dass die hier enthaltenen Informationen lediglich als Orientierungshilfe dienen und das ärztliche Gespräch nicht ersetzen können.